Turm und Glocken der Aflenzer Peterskirche
Die alte Tradition des Glockenläutens und Glockenschlagens hat in gewachsenen Regionen besondere Bedeutung. Glocken unterbrechen die Stille der Nacht, strukturieren den Tag und geben jedem Ort ein unverwechselbares Klangbild.
Der mittelalterliche Aflenzer Wehrturm birgt in seinem Inneren eine der schönsten und wertvollsten Glocken Österreichs: Die Große Peter- und Paulsglocke, gegossen im Jahre 1446 vom renommierten Judenburger Glockengießer HANS MITTER. Die Autoren Weißenbäck-Pfundner bezeichnen sie in der großen Glockenkunde „Tönendes Erz“ sogar als die wertvollste historische Glocke unserer Heimat.
Es sind zwei Aspekte, die zu dieser hervorragenden Bewertung führen: Einerseits hat die als gotische Rippe gegossene Peter und Paulsglocke einen einmalig weichen, vollen, reinen Klang, gehört dem Oktavtyp an, wird mit der Klangqualität 1a bewertet und hat eine lange Nachhallzeit von 100 Sekunden. Und andererseits ist diese Hans Mitter-Glocke gusstechisch und künstlerisch meisterhaft gestaltet: Der Glockenhenkel zeigt ein für die Zeit typisches Zopfmuster. Am Glockenhals finden sich Inschriften in gotischen Minuskeln, die auf die Entstehungszeit im 15. JH. unter Abt Moyker verweisen. Besonders bemerkenswert sind die Zierleisten mit Eichenlaub- und Pantherfriesen. Auf beiden Seiten der Glocke Marienmotive: Eine Marienkrönung mit Peter und Paul und auf der gegenüber liegenden Seite die Himmelskönigin mit Jesus am Arm, flankiert von den Heiligen Agnes, Dorothea, Ursula und Margaretha. Das wichtigste Detail kann man am unteren Glockenrand entdecken: Das sogenannte Hans Mitter Motiv - ein Band mit einer Abfolge von vier Tieren - nämlich Hund-Hase-Löwe-Einhorn - wurde zum Markenzeichen des berühmten Glockengießers.
Sechs Glocken aus verschiedenen Materialien und aus unterschiedlichen Epochen hängen im historischen Holzglockenstuhl und ergeben das Salve Regina Motiv – ein sechstöniges Dur Motiv.
Neben der oben erwähnten großen Bronzeglocke erkennt man die aus der gleichen Zeitepoche stammende kleine alte Glocke an den Zeichen Stern und Raute als Werk von MERT VON FRIESACH. Zu Kanonenkugeln verschmolzen wurden während des 1. Weltkrieges drei barocke Glocken, die 1922 durch drei Böhler Stahlglocken ersetzt wurden. Das jüngste Mitglied im Aflenzer Geläute ist seit 2016 die Heiligen Geist Glocke. Sie zeigt die sieben Gaben des Heiligen Geistes (Rat, Kraft, Einsicht, Weitsicht, Erkenntnis, Frömmigkeit, Gottesfurcht), verweist mit der Inschrift „1066 Ecclesia ad Auoloniza – Aflenz 2016“ auf das 950jährige Bestehen der Pfarre, wurde von Georg Pachner künstlerisch gestaltet und von der einzig noch existierenden Glockengießerfirma Österreichs, der Firma Grassmayr in Innsbruck, gegossen.
Erst durch einen Turm wird ein Gebäude als Kirche wahrgenommen. Ein Kirchturm bietet Geborgenheit, Zugehörigkeit und Orientierung in mehrfacher Hinsicht. Als Wehrturm gebaut, hätte der Aflenzer Kirchturm im Ernstfall vor einfallenden Feinden aus dem Osten Schutz geboten.
Charakteristisch für die Wehrfunktion sind Schlüssel- und Schlitzschießscharten. Die vier Schießkammern im dritten Wehrgeschoss boten jeweils Platz für drei Personen. Die markanten Eckerkerfenster mit den winzig kleinen Schießscharten und die abgetreppten Stufengiebel im Helm unterstreichen den martialischen Charakter des mächtigen Turmes, der an der Basis ein Längenmaß von zehn Metern im Quadrat aufweist.
Aber der Aflenzer Kirchturm hatte nicht nur eine wichtige Funktion als Schutzmaßnahme, sondern ist bautechnisch sehr harmonisch ausgeführt: Gemäß dem Historiker Othmar Wonisch gilt er als der drittschönste Kirchturm des Landes, gereiht nach dem Turm der Kirche von Straßengel und nach dem mittleren Turm der Mariazeller Basilika. Ausschlaggebend für diesen besonderen Platz im steirischen Kirchturmranking ist der auffallend schön geformte Spitzhelm, bekrönt mit Kardinalskreuz und goldener Kugel als Safe für die wertvollsten Schriftstücke der Pfarre.
Text und Fotos von Maria Zifko, zifko.guide